Baustelle InsO

Baustelle InsO

Frank Lackmann
Baustelle InsO – aus Sicht der Schuldnerberatung
Schon oft haben wir – auch an dieser Stelle – darüber diskutiert, was gut und was schlecht läuft im Insolvenzverfahren über die natürlichen Personen. Auch Veranstaltungen wie der Deutsche Privatinsolvenztag, bei welchem Justiz, Wissenschaft, Verwalterschaft, Rechtsanwälte und Schuldnerberater auf Augenhöhe und intensiv miteinander diskutieren, zeigen, dass auch knapp 20 Jahre nach dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung noch einiges im Argen liegt. Wobei grundsätzlich zu sagen ist, dass die Insolvenzordnung aus meiner Sicht ein Erfolgsmodell ist, bei dem es nur gilt, noch einige Stellschrauben zu drehen. Die Insolvenzrechtsreform zum 1. 7. 2014 wollte für Verbesserungen und mehr Klarheit sorgen. Das dies erfolgt ist, kann man nicht behaupten. Es sind, auch nach dem 1. 7. 2014, noch viele Fragen offen und nicht zuletzt die Diskussionen auf europäischer Ebene (Verkürzung der RSB-Dauer auf drei Jahre?) sorgen für zusätzliche Fragezeichen. Erstaunlicherweise haben sich Wissenschaft, Praxis und Gerichte ausgiebig mit einem Thema beschäftigt, welches zu Beginn als gar nicht so praxisrelevant angesehen wurde: dem neuen § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Der Einschub eines Halbsatzes hat für eine wahre Flut an Entscheidungen der Instanzgerichte und Abhandlungen in Fachzeitschriften gesorgt. Im Kern geht es hierbei um die Frage, wie die persönliche Beratung des Schuldners auszusehen hat und ob dem Insolvenzgericht diesbezüglich eine Prüfungskompetenz zusteht. Der Stand der Diskussion kann bei Schmidt (ZVI 2017, 129) und Lackmann (VIA 2018, 1) nachgelesen werden. Damit es nicht falsch verstanden wird: Die Diskussion und Klärung dieser Frage ist aus Sicht der Schuldnerberatung immens wichtig. Denn sie hat direkt etwas damit zu tun, wie Qualität in der Schuldnerberatung (egal ob anwaltliche Schuldnerberatung oder die der anerkannten Beratungsstellen) auszusehen hat. Und eben, was nicht als ausreichende Beratung angesehen wird. Die Frage ist wichtig, um den sog. „Drehtüreffekt“ zu vermeiden. Denn wir alle wollen erfolgreiche Insolvenzverfahren, um dem Schuldner einen bestmöglichen „fresh-start“ zu ermöglichen und das Ansehen des Verfahrens gleichbleibend hoch zu halten. Und dies gelingt nur mit qualitativ hochwertiger Beratung.
Demgegenüber sind viele der weiteren Änderungen zum 1. 7. 2014 derzeit noch ungeklärt bzw. gerade in Klärung. Die Erfahrung der letzten viereinhalb Jahre hat gezeigt, dass einige Vorschriften gelungen sind, viele aber eher nicht.
Aus Sicht der Schuldnerberatung lassen sich folgende, drängende Fragen benennen (Aufzählung nicht abschließend):
 Die Verkürzung der Restschuldbefreiungsdauer auf drei Jahre nach § 300 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO
Die Evaluation des Bundesjustizministeriums (BT-Drucks. 19/4000) hat – wie zu erwarten war – ergeben, dass lediglich in unter 2 % der Fälle seit dem 1. 7. 2014 von der Verkürzungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wurde. Das gesetzgeberische Ziel (mindestens 15 %) ist somit weit verfehlt. Von daher bleibt abzuwarten, ob sich der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der geplanten EU-Richtlinie (Richtlinienvorschlag der Kommission (COM(2016) 723 final)) auch auf nationaler Ebene auf eine Verkürzung der Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre ohne Bedingung einlässt, was zu begrüßen wäre. Dies außen vorgelassen, gibt es aber noch einige rechtliche Fragen, die zu klären sind.
Wann ist z. B. der richtige Zeitpunkt, um den Antrag auf vorzeitige Restschuldbefreiung zu stellen? Die Ansichten der Gerichte gehen hier auseinander.
Ein Zeitraum ab zwei Monate vor Ablauf der Drei-Jahres-Frist dürfte hier wohl richtig sein.
Woher erhält der Schuldner die Informationen, um den Antrag auf Verkürzung glaubhaft machen zu können? Richtigerweise wird der Schuldner einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Insolvenzverwalter haben müssen, der ihm mitteilt, wie der Stand der angemeldeten Forderungen ist, wie viel Geld sich in der Insolvenzmasse be-ZVI 2018, 422findet und wie hoch die Verfahrenskosten sind. Teilweise wird vertreten, dass der Insolvenzverwalter dem Schuldner auch berechnen muss, ob er die Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO erfüllt hat.
Was ist, wenn der Schuldner nach Ablauf der drei Jahre die Zielmarke knapp verfehlt (z. B. nur 34 % erreicht)? Erhält er Gelegenheit, das Fehlende nachzuzahlen? Der klare Wortlaut lässt dies m. E. nicht zu. Dann besteht aber ein handwerklicher Fehler, denn der Gesetzgeber hat mit der Einführung des neuen § 300 InsO gewollt, dass die Schuldner überobligatorische Zahlungen leisten. Da zum Zeitpunkt der Zahlungen noch gar nicht kalkulierbar ist, ob der Schuldner die Hürde schaffen wird, sondern dies erst nach Ablauf der drei Jahre und nach Prüfung durch das Insolvenzgericht feststeht, müsste ihm eigentlich auch Gelegenheit gegeben werden, Fehlendes binnen einer kurzen Frist nachzuzahlen.
 Unerlaubte Handlungen nach § 302 InsO
Zum 1. 7. 2014 wurden Verbindlichkeiten aus rückständigem Unterhalt, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat, sowie Steuerforderungen, denen eine rechtskräftig ausgeurteilte Steuerstraftat nach den §§ 370, 373, 374 AO zugrunde liegt, von der RSB ausgenommen. Diese Norm (die in der Regel nur dem Staat etwas bringt) wirft einige offene Fragen auf:
Bis wann muss bzgl. der Steuerschulden die rechtskräftige Verurteilung des Schuldners erfolgt sein? Bei Anmeldung der Forderung? Bis zum Schlusstermin? Bis zur Restschuldbefreiung? Muss nur das Steuerstrafverfahren bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eröffnet sein? Die Systematik der InsO lässt m. E. nur einen Zeitpunkt zu: Die rechtskräftige Verurteilung muss bis zum Schlusstermin vorliegen.
Was ist genau unter vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährtem Unterhalt zu verstehen? Der Gesetzgeber definiert in der Gesetzesbegründung nur das Merkmal der „Pflichtwidrigkeit“, nicht aber, was unter der Kombination der Wörter „vorsätzlich pflichtwidrig“ zu verstehen ist. Gerichtsentscheidungen hierzu gibt es, soweit erkennbar, nicht. Teilweise wird vertreten, dass die Formulierung Auswirkung auf die Beweislast zu Lasten des Schuldners hat (vgl. Dornblüth/Pape, ZInsO 2014, 1628). Das ist eine Fallgestaltung, welche sich in der Folge fortsetzt und durch eine Entscheidung des BGH (s. u.) für den Schuldner zum großen Problem wird. Meldet ein Gläubiger den Unterhalt als unerlaubte Handlung an (das Folgende gilt übrigens für „normale“ unerlaubte Handlungen ebenfalls) und widerspricht der Schuldner dem Rechtsgrund der „unerlaubten Handlung“, so müsste der Gläubiger (wenn kein qualifizierter Titel vorliegt) den Widerspruch durch Feststellungklage beseitigen. Der Schuldner hätte die Möglichkeit, den Rechtsgrund durch die sog. Negative Feststellungsklage klären zu lassen. Geschieht beides nicht, kann der Gläubiger nach Erteilung der Restschuldbefreiung aus der Insolvenztabelle die Vollstreckung gegen den Schuldner betreiben, obwohl der Schuldner dem Rechtsgrund widersprochen hat
(vgl. BGH, Beschl. v. 3. 4. 2014 – IX ZB 93/13, ZVI 2014, 258). Der Schuldner müsste dann die Vollstreckungsgegenklage erheben. Die Verlagerung der Frage auf einen Zeitraum nach Erteilung der RSB ist nicht nachvollziehbar und dient nicht dem mit der Erteilung der RSB auch gewollten Rechtsfrieden. Im Zweifel geht dies zu Lasten des Schuldners, der oftmals nicht mehr in der Lage sein wird, sich gegen Jahre zurückliegende Sachverhalte zur Wehr zu setzen.
 Die Einführung des Insolvenzplans für Verfahren der natürlichen Personen hat nicht dazu geführt, dass es zu einem wesentlichen Anstieg der Insolvenzpläne gekommen ist. Zwar gibt es mittlerweile Musterpläne (z. B. von der ARGE Insolvenzrecht des Deutschen Anwaltvereins), die Regelungen der §§ 217 ff. InsO sind m. E. für die doch eher einfachen Verfahren der natürlichen Personen zu kompliziert. Weniger ist manchmal mehr.
 Die Sperrfristen des § 287a Abs. 2 InsO sind eigentlich weitgehend geklärt. Offen bleibt nur die Frage, ob dem Schuldner für das folgende Insolvenzverfahren die Kostenstundung zu gewähren ist. Die Frage ist mit der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur zu bejahen. Aber was ist mit den Schuldnern, die sich im ersten Insolvenzverfahren erneut überschulden und den Antrag auf Restschuldbefreiung im Erstverfahren zurücknehmen? Auch diese Schuldner unterliegen keiner Sperrfrist für ein zweites Verfahren. Aber kann ihnen auch in diesem Fall die Kostenstundung für das zweite Verfahren gewährt werden (wie es das AG Göttingen v. 20. 5. 2016 – 74 IK 124/16, ZVI 2016, 392 annimmt)? Im Grundsatz ist dem AG Göttingen zuzustimmen. Aber ab wann ist die erneute Beantragung der Stundung rechtsmissbräuchlich? Gäbe es quasi die Möglichkeit zum Dauerinsolvenzverfahren?
Dies ist nur ein Auszug aus den Problemen, die momentan im Bereich der Verfahren der natürlichen Personen bestehen. Trotzdem bleibe ich dabei: Die InsO ist ein gelungenes Instrument der Entschuldung und des „fresh-start“ für den Schuldner. Lassen Sie uns gemeinsam an den Stellschrauben drehen, damit auch die nächsten 20 Jahre ein Erfolgsmodell werden.
Rechtsanwalt Frank Lackmann, Bremerhaven

Quelle aus ZVI 2018-421, Heft 11/2018

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