16. Januar 2015
Unter welchen Voraussetzungen ist eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachte Pfändung des erst nach Aufhebung des Verfahrens entstehenden Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne des § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG insolvenzfest? Mit dieser Frage hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls als zukünftige Forderung pfändbar1. Auch § 91 Abs. 1 InsO vermag die Aufhebung des vom Beschwerdegericht auf die zukünftigen Ansprüche der Schuldnerin auf Auszahlung der Versicherungssummen beschränkten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht zu begründen. Nach § 91 Abs. 1 InsO können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Wird eine künftige Forderung gepfändet, entsteht das Pfandrecht erst mit der Begründung der voraus gepfändeten Forderung. Wegen § 91 Abs. 1 InsO kann in diesem Fall der Pfandgläubiger an der Forderung zu Lasten der Masse kein Pfandrecht erwerben. Dies gilt auch für die Pfändung einer aufschiebend bedingten Forderung. § 91 Abs. 1 InsO schont jedoch solche Erwerbsanwärter, die bereits eine gesicherte Rechtsstellung an dem Erwerbsgegenstand erworben haben. Wenn der Pfandrechtsgläubiger schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der gepfändeten Forderung erlangt hat, ist die Pfändung insolvenzfest2. Diese Grundsätze gelten auch für die Pfändung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG. Im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall fehlt es schon an einem Rechtserwerb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Die Regelungen der §§ 80 ff InsO gelten nur für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens. Über den Wortlaut des § 91 Abs. 1 InsO hinaus reicht ein Rechtserwerb irgendwann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens deshalb nicht aus; er muss vielmehr vor Beendigung des Verfahrens erfolgen. Eine Anwendung des § 91 Abs. 1 InsO nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens kommt nur in Betracht, wenn und soweit es sich um einen der Nachtragsverteilung nach § 203 Abs. 1 InsO unterliegenden Gegenstand der Masse handelt3. Vorliegend begann spätestens im Zeitpunkt der Einlegung der Vollstreckungserinnerung am 29.11.2010 die Wohlverhaltensphase. Dies setzt eine vorherige Beendigung des Insolvenzverfahrens voraus4. Ein durch § 91 Abs. 1 InsO möglicherweise gesperrter Pfändungspfandrechtserwerb hätte sich daher nach Verfahrenseröffnung und vor dem 29.11.2010 vollziehen müssen. Davon ist nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht auszugehen. Die Rechtsbeschwerde zeigt übergangenen Vortrag der insoweit darlegungsbelasteten Schuldnerin5 nicht auf. Bei einer Direktversicherung handelt es sich nach der Legaldefinition des § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG um eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers, die durch den Arbeitgeber für die betriebliche Altersversorgung abgeschlossen und bei der das Bezugsrecht ganz oder teilweise dem Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen eingeräumt wird. Das Rechtsverhältnis des Arbeitgebers zum Versicherer und damit auch das dem Arbeitnehmer eingeräumte Bezugsrecht richten sich allein nach dem Versicherungsvertrag. Demgegenüber beurteilen sich die auf die Versicherung bezogenen Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer nach dem zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnis6. Ob es zu einem Rechtserwerb der Schuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekommen ist, beurteilt sich nach den Regelungen des Versicherungsvertrags. Vorausgesetzt ist der Eintritt eines die Schuldnerin berechtigenden Versicherungsfalls vor der Beendigung des Insolvenzverfahrens. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts sollte der jeweilige Erlebensfall erst im Laufe des Jahrs 2014 eintreten, mithin nach Beendigung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Ein früherer Eintritt des Versicherungsfalls ist nicht ersichtlich. Zu Unrecht verweist die Rechtsbeschwerde auf § 6 BetrAVG. Diese Bestimmung regelt das arbeitsrechtliche Versorgungsverhältnis, schafft jedoch keinen Versicherungsfall im Sinne des § 159 VVG7. Dass in den streitbefangenen Versicherungsverträgen der Versorgungsfall des § 6 BetrAVG zum Versicherungsfall bestimmt worden wäre, ist nicht festgestellt und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt. Auf die Frage, ob der Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition erlangt hat, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11. Dezember 2014 – IX ZB 69/12BGH, Beschluss vom 11.11.2010, aaO Rn. 9f↩BGH, Urteil vom 26.01.2012 – IX ZR 191/10, WM 2012, 549 Rn. 29 ff; vgl. auch BGH, Urteil vom 10.11.2011 – IX ZR 142/10, BGHZ 191, 277 Rn. 9; vom 25.04.2013 – IX ZR 62/12, WM 2013, 1040 Rn. 27↩vgl. Piekenbrock in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 91 Rn. 2; vgl. auch BGH, Beschluss vom 06.12 2007 – IX ZB 229/06, WM 2008, 305 Rn. 10↩vgl. D. Fischer in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, aaO § 291 Rn. 2; MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 291 Rn. 35; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., Vorbemerkung zu § 286 Rn. 40↩vgl.
BGH, Beschluss vom 17.09.2014 – VII ZB 21/13, WM 2014, 2052 Rn. 15; Sternal in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2. Aufl., § 766 Rn. 48; MünchKomm-ZPO/Schmidt/Brinkmann, 4. Aufl., § 766 Rn. 45; Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 766 Rn. 27↩BGH, Urteil vom 09.10.2014 – IX ZR 41/14, WM 2014, 2183 Rn. 11; BAGE 73, 209, 213; 134, 372 Rn. 17; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.06.1996 – IV ZR 243/95, VersR 1996, 1089↩BAGE 79, 360, 366 ff; zu § 166 VVG
Quelle: rechtslupe.de